Eins mit Käse, eins mit Mettwurst und dann noch eins mit Lachs: Der 67-jährige Holger R. lässt sich die Brötchen am Montagmorgen gut schmecken. Dazu singen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Straßenmagazins Hinz&Kunzt ein Ständchen: „Happy Birthday to you!“ Doch nicht Holger hat Geburtstag. Der Grund für das kalte Buffet und den Gesang ist der 24. Geburtstag von Hinz&Kunzt. Da werden die Zeitungsverkäufer mal ordentlich vom Team gefeiert.
Aus Hamburgs Straßenbild sind die mehr als 500 Männer und Frauen kaum wegzudenken. Holger verkauft das Magazin vor einem Supermarkt in Duvenstedt, um seine Rente aufzubessern. Er ist nun schon seit elf Jahren „Hinz&Künztler“, wie die Verkäufer hier genannt werden. Obdachlos, so wie viele seiner Kollegen, war er zum Glück nie. Dank Hinz&Kunzt hat er damals gerade noch die Kurve gekriegt. Durch das Zeitungsverkaufen ist er wieder auf die Beine gekommen: „Man hat etwas, woran man sich festhalten kann“, sagt er.
Auf dem Weg in ein normales Leben
Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei Hinz&Kunzt, kennt viele solcher Geschichten von Verkäufern. „Die Menschen werden bei uns aus der Einsamkeit heraus geholt“, sagt er. Für viele sei das Zeitungsverkaufen der erste Schritt zurück zu gesellschaftlicher Teilhabe. „Die Kunden kaufen die Zeitung, grüßen den Verkäufer und behandeln ihn gut“, sagt Karrenbauer. Für Obdachlose, die sonst oft nur schräg angeschaut werden, eine echte Verbesserung: „Später entstehen daraus kleine Freundschaften.“ Und wenn alles gut geht, folgt irgendwann ein ganz normales Leben.
Die Idee zu diesem sozialen Aufzug hatte 1993 der damalige Leiter des Diakonischen Werks, Stephan Reimers. Nach dem Vorbild von The Big Issue aus London sollte auch Hamburg seine Straßenzeitung bekommen – gemacht von Profis, verkauft von Obdachlosen. Der Anspruch: Ein Magazin für Jedermann, also Hinz und Kunz. Und weil neben sozialpolitischen Reportagen auch Kunst und Kultur Schwerpunkte sein sollten, hängten die Gründer noch ein „t“ hinten dran.
24 Jahre später ist Hinz&Kunzt noch viel mehr als das Magazin, das das Thema Obdachlosigkeit immer wieder aufs Tableau holt. Heute arbeiten hier 38 Menschen – und mehr als die Hälfte von ihnen war früher selbst mal wohnungslos. Viele arbeiten im Vertrieb und betreuen die Verkäufer des Magazins. Einige verdingen sich aber auch als „Pfandbeauftragte“ am Hamburger Flughafen oder als Bäckereiverkäufer bei den „BrotRettern“ in Lohbrügge, einem Kooperationsprojekt mit der Bäckerei Junge.
Mit Chris durch die Innenstadt
Auch Chris war lange Zeit obdachlos – heute hat er eine Wohnung und ist bei Hinz&Kunzt fest angestellt. Als einer der beiden Stadtführer des Projekts zeigt er jedes Jahr tausenden Interessierten die Hamburger Innenstadt „so, wie sie kaum einer kennt“. Er führt vorbei an Drogenberatungsstellen und Obdachlosenschlafstätten. „Ich glaube, ich habe meine Berufung gefunden“, sagt der 46-Jährige nicht ohne Stolz. Vorurteile über Obdachlose abzubauen, treibt ihn an.
Hätte er 1995 nicht zu Hinz&Kunzt gefunden, glaubt Chris, würde er heute wohl nicht mehr leben: „Ohne Hinz&Kunzt hätte ich mich wahrscheinlich totgesoffen.“ Doch hier fand er erst den Halt, den er brauchte, um wieder in die Spur zu kommen. Vor sieben Jahren schaffte er es dann aus einer Winternotunterkunft von Hinz&Kunzt heraus eine eigene Wohnung zu finden – nicht zuletzt dank einer Bürgschaft seines heutigen Arbeitgebers.
Bis hin zur eigenen Wohnung
Das wünscht sich Sozialarbeiter Karrenbauer zum Geburtstag des Projekts: „dass ich für jeden Obdachlosen zwei Wohnungsangebote in der Schublade habe.“ Doch angesichts des angespannten Hamburger Wohnungsmarktes wird das wohl vorerst ein frommer Wunsch bleiben. Die Zahl der Obdachlosen, sie hat sich in Hamburg in den vergangenen zehn Jahren wohl verdoppelt. Von mehr als 2000 Menschen auf der Straße geht die Diakonie heute aus.
Und selbst, wenn alle eine Wohnung hätten, bräuchten viele noch Hinz&Kunzt. So wie Holger, der jeden Tag zwei Stunden von seiner Wohnung bei Trittau zu seinem Verkaufsplatz in Duvenstedt fährt. Was er gerne in Kauf nimmt: „Ich mache das, bis ich umfalle“, sagt Holger. Also hoffentlich noch lange Zeit.
Der Autor arbeitet hauptberuflich als Redakteur bei Hinz&Kunzt