Wenn Frauen Opfer von Gewalt werden und Schutz brauchen, stehen ihnen Frauenhäuser zur Verfügung. Doch: Die Einrichtungen sind überfüllt, oft müssen Schutzsuchende abgewiesen werden. Das Projekt „Frauen_Wohnen“ unterstützt schutzbedürftige Frauen aus den Frauenhäusern in Schleswig-Holstein bei der Suche nach einer dauerhaften Unterkunft.
Dabei gestaltet sich die Suche alles andere als einfach: Der Wohnungsmarkt ist stark umkämpft, bezahlbarer Wohnraum ist nur sehr schwer zu finden. Vorurteile gegenüber den schutzbedürftigen Frauen machen die Suche nach einer neuen Unterkunft noch schwerer und ausgerechnet die Digitalisierung, die alles einfacher machen soll, stellt nur eine weitere Hürde für die Mitarbeitenden des Projekts dar.
Wir sprachen mit Simone Green und Irene Tischer, Mitarbeiterinnen des Projekts, sowie Ivy Wollandt, die die Projektsteuerung verantwortet.
Christian Schierwagen: Das Projekt setzt da an, wo viele Frauen gegen Ende des Aufenthalts im Frauenhaus feststecken: der Suche nach bezahlbarem Wohnraum. Welche strukturellen Hürden begegnen Ihnen am häufigsten?
Simone Green: Zum einen gibt es grundsätzlich zu wenig Wohnraum. Aus Sicht von Vermietenden kommt es dazu, dass manche Frauen keinen deutschen Ausweis haben. Keinen Ausweis, keine Wohnung, Opfer von Gewalt – das ist manchen unheimlich. Aber das sind die Situationen, in denen sich viele unserer Frauen befinden.
Da wird befürchtet, der Gewalttäter stehe irgendwann vor der Tür, aber dafür sind die Frauen ja im Frauenhaus – damit niemand weiß, wo sie sich aufhalten Es ist unheimlich schwer, solche Vorurteile zu überwinden. Zusätzlich fürchten viele Vermietende, dass sie kein Geld erhalten – was absolut unverständlich für uns ist: Die Miete wird vom Jobcenter übernommen – was für einen verlässlicheren Mieter kann man sich denn wünschen als den Staat?
Irene Tischer: Dann kommen strukturelle Probleme hinzu beim Thema Digitalisierung, die ja eigentlich alles einfacher machen soll: Wie alle anderen auch, suchen wir auf Immobilienplattformen nach Wohnungen. Doch wenn wir für unsere Klientinnen schauen, ist die große Frage: Über welche Mailadresse machen wir das? Die von der Beratungsstelle können wir dafür leider wegen technischer Vorgaben der Plattformen nicht mehrfach nutzen.
Green: Das Argument ist dann, dass die Frauen mit ihren eigenen Mailadressen selbstständig Kontakt zu Vermietenden aufnehmen könnten. Aber viele können genau das eben nicht; deshalb gibt es uns. Ironischerweise sorgt die Digitalisierung der Behörden dafür, dass wir umso stärker auf Ansprechpersonen vor Ort angewiesen sind und persönlich vorbeikommen müssen, da bei der Digitalisierung Frauen im Schutzbereich nicht berücksichtigt wurden.
Schierwagen: Sie sprachen zu Anfang über Vorurteile: Was sind das denn für Frauen, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Green: Es kann jede Frau dort landen, das ist nicht milieuabhängig. Um Vorurteile aufzuhebeln, ein Beispiel von einer Frau, deren Mann Jurist ist: Der tut wirklich alles, was er im rechtlichen Rahmen tun kann, deponiert beispielsweise Geld im Ausland, damit seine Frau absolut mittellos ist. Diese Frau hatte absolut nichts, als sie zu uns kam. Und das geht den meisten Frauen so, sie haben nichts außer der Kleidung, die sie tragen, oder – wenn sie Glück hatten – noch eine Tasche mit Habseligkeiten.
Hierbei finde ich auch den Begriff „Gewalt“ wichtig näher zu definieren, denn da geht es ja lange nicht nur um das Verprügeln. Es geht um massive psychische Gewalt, dass Frauen eingeschlossen werden, Kontakte abgebrochen werden zu Familie und Freund*innen. Und so etwas passiert nicht auf einmal, das ist oft ein schleichender Prozess.
Tischer: Und viele Frauen halten still, denn auch heute noch hat in vielen Beziehungen der Mann das Geld, das Haus, die Macht. Oder sie schweigen, weil sie ihre Kinder nicht verlieren wollen. Und hier haben wir wieder ein strukturelles Problem: Die Frau muss gehen. Sie ist das Opfer und sie muss gehen – warum ist das so?
Schierwagen: Gibt es eine Geschichte aus Ihrem Arbeitsalltag, die besonders verdeutlicht, wie wichtig dieses Projekt ist?
Tischer: Da gab es eine Frau, die ist damals zu Fuß von Afghanistan mit ihren Kindern nach Deutschland marschiert. Ihr Mann kam ungefragt nach, da trug sie plötzlich einen Schleier, bis sie sich von ihm befreien konnte. Doch schon damals gingen die Prügeleien los, er wurde mehrfach weggewiesen.
Diese Frau war unfassbar intelligent, selbstbewusst und ehrgeizig, nahm an einem Deutschkurs teil, was ihrem Mann überhaupt nicht gefiel. Eines Tages stand er vor ihrer Wohnungstür, hat sie, ihre Kinder und ihre Verwandtschaft verprügelt, da hat sie unter Polizeischutz ihre notwendigsten Sachen aus der Wohnung geholt und kam ins Frauenhaus. Und dort hat sie dann erst einmal die gesamte Belegschaft – Bewohnende wie Mitarbeitende – gepusht, dass man hier doch nach Wohnungen suchen müsse, sie hat alle mitgezogen; von uns zuvor empowert.
Sie hat dann tatsächlich im Hochhaus, in dem auch ihre Schwester lebte, eine Wohnung gefunden, weil sie den Hausmeister so energisch bequatscht hatte, während wir uns um alle Unterlagen gekümmert haben. Doch ihr Mann war immer noch in der Stadt, man musste immer damit rechnen, dass sie ihm plötzlich begegnet, die Kinder waren psychisch am Ende, mussten Tabletten nehmen, waren beim Psychiater, sie hatten große Angst und so riet dieser ihr, das Bundesland zu verlassen.
Und von einem auf den anderen Tag schaute sie, wo ihr Mann in Deutschland möglichst keine Verwandtschaft hatte und beschloss: Dieser Ort wird es! Und wie nebenbei machte sie noch – als erste in ihrer Familie – einen Hauptschulabschluss auf Deutsch. Während sie also täglich ihre Kinder zur Schule brachte, fuhr sie regelmäßig den ganzen Weg in diese neue Stadt und suchte eine Wohnung, hatte teils drei Besichtigungen am Tag und kam schließlich zu uns und meinte: „Jetzt kann ich diese oder diese Wohnung haben und diese oder diese Ausbildung starten – was mache ich denn jetzt?“ Sie entschied sich für eine Wohnung und eine Ausbildung, die sie glänzend absolvierte, sie wurde übernommen und ist jetzt Stationsleitung vor Ort.
Diese Frau, die hier als sekundäre Analphabetin ankam, die als Kind heimlich von ihrer Mutter unterrichtet wurde, weil sie nicht zu Schule durfte, die so viel durchgemacht hat, der man so viel Gewalt angetan hat … Diese Frau hat nicht nur Hilfe gesucht und bekommen, sie hat auch so vielen anderen Frauen in ihrer Zeit im Frauenhaus geholfen, hat sich von nichts und niemanden kleinmachen lassen – und wir haben ihr auf diesem Weg helfen können, haben sie begleitet und unterstützt. Dieses Erlebnis ist für mich bis heute ganz besonders.
Weitere Informationen zu den regionalen Servicestellen, den Kooperations- und Projektpartner*innen und vieles weitere finden Sie auf der Webseite vom Projekt Frauen_Wohnen.