Frage: Medien spitzen Themen zu. Neuerdings hat man wieder den Eindruck, Esoterik-Praktiken lösen die traditionellen Glaubensgemeinschaften ab. Beobachten Sie auch eine "stille spirituelle Revolution", was die Akzeptanz der esoterischen Weltbilder angeht?
Antwort: Spirituelle Revolution würde ich es gerade nicht nennen. Aber der Esoterik-Markt hat sich breiter aufgefächert mit stark individualisierten Formen von Spiritualität. Zudem geht es um ein Kunden-Dienstleister-Verhältnis. Es gibt Anbieter, die eine Fülle unterschiedlicher Methoden und Techniken anbieten: neben Reiki steht Energetisierung von Trinkwasser, Spirituelle Numerologie, Familienaufstellung und die energetische Raum- und Erdheilung. Und diese Angebote treffen auf Nutzerinnen und Nutzer, die dies alles nebeneinander oder nacheinander wahrnehmen. Sie erhoffen sich davon vor allem eine Steigerung ihres Lebensgefühls, Verbesserung ihrer psychischen Stabilität oder auch Linderung von Krankheit und Leiden.
Der Begriff Esoterik ist schwammig – gehören auch die traditionelle indische Medizin, Ayurveda und Traditionelle Chinesische Medizin dazu?
Ich ordne Ayurveda wie auch die Traditionelle Chinesische Medizin nicht der Esoterik-Szene zu, sondern dem Wellness-Bereich. So jedenfalls werden sie hier im Westen meist angeboten: gegen Burnout oder als "Entgiftung" wie eine Frühjahrskur. Immer auch soll die Energie hinterher besser fließen - was auch immer das heißen soll. Möglicherweise neigen Esoterik-Begeisterte stärker zu solchen Angeboten. Doch ich halte mich an dieser Stelle zurück; der Satz Wer heilt, hat Recht“ hat auch seine Plausibilität. Jedoch sollte man bei Nutzung alternativer Medizin nicht auf die fachliche Beratung durch Schulmediziner verzichten.
Wo ist der Unterschied, wenn im evangelischen Gottesdienst die Hand zum Segnen aufgelegt wird oder im Reiki die Hand aufgelegt wird?
In der Regel wird zum Handauflegen bei Reiki gesagt, der Energie-Spender sei aufgrund (oft geheimer Einweihungen) ein für allemal als Energie-Kanal geöffnet und ihn durchfließe Heil-Energie. Dies suggeriert, der Ausübende sei Besitzer der Energie. Christlich gesehen verbindet sich Handauflegen mit der Bitte an Gott, seine Kraft möge wirken – ebenso erfahrbar, wie man die Hand spürt. Aber es bleibt Bitte, ohne Garantie dafür, dass und wie Gottes Kraft wirkt. Gott ist nicht per Ritual verfügbar - weder im Christentum, noch in einer anderen Religion.
Ein Beispiel für eine absurde Adaption einer östlichen Tradition aus dem Westen?
Feng Shui, das hier im Westen als angenehmer Wohnen verkauft wird. Diese Tradition ist verbunden mit dem chinesischen Verständnis von allerorts wirksamen Energien und ist als Ritual des Ahnenkultes zu beschreiben. Es geht darum, dass die Energie der verstorbenen Vorfahren, die außerhalb des Hauses beigesetzt sind, besser im Haus ein und aus gehen kann. Daher ist auch kein Spiegel im Eingangsbereich gewünscht. Wenig Ecken und Kanten sollen den Geist frei fleißen lassen. Wie schöner Wohnen geht, kann allerdings auch jeder Innenarchitekt sagen - Wohlfühlen ist ja quasi sein Job.
Wo fängt es an, dass Anbieter gefährlich werden?
Bedenklich sind alle Anbieter mit sogenannten medizinischen Methoden und Praktiken, die uneingeschränkt Wirkungen versprechen. Die behaupten, besser zu wirken als die Schulmedizin, etwa in der Krebstherapie. Für problematisch halte ich es, wenn Anbieter gering qualifiziert sind, sich ihre eigenen Grenzen nicht bewusst machen und in ganz kurzer Zeit enorme Erfolge und Verbesserungen versprechen.