„Die Auslastung in den evangelischen Kitas in Hamburg liegt aktuell bei 50 Prozent. Tendenz steigend“, sagt Müller. Diese Zahlen bestätigen Erhebungen der Sozialbehörde, denen zufolge in den 1.100 Hamburger Kitas aktuell 40 bis 50 Prozent der etwa 90.000 Kinder anwesend sind. Im Vergleich zum ersten Lockdown betreuen Erzieherinnen und Erzieher damit deutlich mehr Kinder.
Die Lage in Hamburg stellt sich wie folgt dar: Eltern sind aufgefordert, ihre Kinder, wann immer es möglich ist, zu Hause zu betreuen. Sozialsenatorin Melanie Leonhard wiederholte diese Maßgabe in einem NDR-Interview Ende vergangener Woche erneut. Eine Pflicht zur Betreuung zu Hause gibt es jedoch nicht.
Familien stehen dem Arbeitgeber gegenüber unter Druck
„Durch die Unentschlossenheit der Sozialbehörde haben die Eltern keine Handhabe gegenüber dem Arbeitgeber“, sagt Müller. Es sei schwer, der Chefin oder dem Chef gegenüber zu begründen, warum man die Kinder zu Hause betreue oder betreuen möchte. Schließlich bedeutet die aktuelle Regelung letztendlich, dass alle Eltern ihre Kinder ohne gesonderte Nachweise in die Kita bringen können. „Verschärft wird es in Stadtteilen mit vielfältigen sozialen Problemen“, sagt Müller. „Familien, in denen die Arbeitssituation prekär ist, stehen gegenüber dem Arbeitgeber extrem unter Druck.“
Die angespannte Lage provoziert Konflikte. Nicht nur innerhalb der Familien. „Die aktuelle Situation führt zu einer Polarisierung zwischen Kitaleitung und Eltern“, sagt Müller. So müssen die Kitaleitungen und Eltern im Einzelfall ausdiskutieren, warum ein Kind nach wie vor in die Kita kommt oder nicht. „Diesen Auftrag übergibt die Senatorin in Ihrer Empfehlung an die Träger und Kita-Leitungen“, sagt Müller und schlägt vor, die Eltern noch mal konkret anzuschreiben, dass es bei der Betreuung um Eltern geht, die in der Daseinsfürsorge arbeiten. Müller: „Es wäre sehr wünschenswert, dass die Sozialbehörde die Verantwortung dafür übernimmt und genau dies den Eltern selbst mitteilt. Die Entscheidung über Betreuungseinschränkungen sollte politisch entschieden und nicht auf Träger und Leitungen abgewälzt werden.“
Brief einer Erzieherin an den Senat: Zunehmende Angst und Wut
Das Hamburger Abendblatt veröffentlichte in der vergangenen Woche einen anonymen Brief einer Erzieherin an den Senat. Die Mitarbeiterin einer Kita spricht darin offen über ihre Angst und Sorgen, aber auch über die zunehmende Wut auf die Politik, die ihren Berufsalltag begleitet. Unter anderem schreibt sie: „Im Ergebnis ist trotz der angespannten Corona-Lage bei uns also eigentlich fast alles wie immer… Meine Kollegen und ich verzichten auf so gut wie alle privaten Kontakte, betreuen aber zugleich unzählige ‚Haushalte’ über unsere Kitakinder.“
Dieser Brief beschreibe laut Müller sehr gut die Stimmung und das Erlebte der Mitarbeitenden vor Ort. „Man kann es gar nicht in Worten ausdrücken, wie herausragend die Arbeit und das Engagement der Erzieherinnen und Erzieher in diesen Zeiten ist“, sagt sie.
Menschenansammlungen zu Bring- und Abholzeiten
In Hamburg gibt es für die Erzieherinnen und Erzieher keine Vorschrift zum Tragen von Masken. In den evangelischen Kitas sind die Mitarbeitenden dazu angehalten, wann möglich und wenn es ihre Gesundheit erlaubt, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Das Singen ist seit dem ersten Lockdown untersagt. Eltern sollen die Einrichtungen nicht betreten. Es komme jedoch in den Stoßzeiten zu Problemen, erzählt Müller. Gerade zu den Bring- und Abholzeiten, würden sich Gruppen von Eltern vor der Kita ansammeln. „Auch das bedeutet ein Risiko für alle Beteiligten“, sagt Müller.
Derzeit gibt es in den evangelischen Kitas nur wenige Infektionsfälle. Das liege an der Schließung während der Weihnachtsferien, so Müller. „Ich rechne damit, dass die Zahlen in zwei bis drei Wochen nach oben gehen.“
Kita-Werk und Verbände wollen Einfluss auf Senat nehmen
Das Kita-Werk der evangelischen Kirche steht im ständigen Austausch mit Verbänden. Gemeinsam versuchen sie nun Einfluss auf die Entscheidungen der Hamburger Sozialbehörde zu nehmen. Geschäftsführerin Müller fasst die Forderung zusammen: „Es muss eine klare politische Entscheidung geben, dass Kitas nur für Kinder geöffnet haben, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, für Kinder und Notlagen und mit besonderem Förderbedarf und für Kinder, deren Eltern nachweislich keine andere Betreuungsmöglichkeit haben. Eine konsequentere Kontaktreduzierung bedeutet zwar eine Belastung für die Familien, allerdings mit der Hoffnung, früher in den Regelbetrieb zurückkehren zu können.“