Corona und wir „Ein intensives Warten und Insichgehen für alle“

Irmgard Nauck ist Pastorin der Kirche der Stille.

Corona und wir: In dieser Reihe geht es um die Sollbruchstellen und Lücken, aber auch die Lichtblicke und Brücken, die die gegenwärtige Situation mit sich bringt: Alles anders in diesem Dezember 2020, man kann es kaum mehr hören. Doch was ist, wenn man die gegebenen Umstände versucht positiv umzudeuten? Ein Interview mit Irmgard Nauck, Pastorin der Kirche der Stille in Altona.

Advent bedeutet so viel wie Ankunft – und auf die wartet man für gewöhnlich: Wie passt das in die aktuelle Situation?
Irmgard Nauck: Ich habe die Adventszeit noch nie so wahrhaftig als Warte- und Sehnsuchtszeit empfunden wie in diesem Jahr. Wir warten ja darauf, dass die Infektionszahlen zurückgehen, dass wir wieder frei leben können. Es ist wirklich ein intensives Warten und Insichgehen für alle Menschen.

Kann gerade diese Zeit dazu genutzt werden, sich auf das Wesentliche des Advents zu besinnen?
Ja, diese Wartezeit und die Vorfreude auf das, was danach kommt, erfahren wir auf existentielle Weise. Wir spüren unsere Sehnsucht nach dem Licht und der Geburt des göttlichen Kindes. Durch Weihnachtsfeiern, Weihnachtsgebäck ab September, lauter Verpflichtungen wird die Adventszeit oft zu einer gestressten Zeit. Das ist in diesem Jahr anders, weil ruhiger und verlangsamter.

 

Eine Balance schaffen

Wie lässt sich Besinnlichkeit in der derzeitigen „Ausnahmesituation“ erzeugen?
Besinnliche Adventszeit heißt für mich, dass wir eine Balance finden zwischen dem Außen und dem Innen. Viele Menschen verfolgen aktuell die Nachrichten intensiver, was natürlich eine stärkere Fokussierung auf das Außen bringt. In dieser Situation aber immer wieder nach innen zu gehen in die Meditation, schafft eine Balance.

Gibt es Rituale, die Sie empfehlen?
Es geht ja ganz schlicht darum, inne zu halten und in welcher Form auch immer Meditation zu üben. Dem ganzen Äußeren erst einmal Einhalt zu gebieten. Die Fokussierung auf das Hier und Jetzt, ist gerade in dieser Pandemie-Zeit essenziell. Die Aufmerksamkeit zu lenken auf den Körper, den Atem und das, was jetzt gerade hier geschieht. Ich erfahre mich dann als gesund, geborgen, als sicher. Und sehe, dass ich eigentlich alles habe, was ich brauche zum Leben. Das ist auch eine Möglichkeit, der Angst nicht so viel Raum zu geben, sei sie gesundheitlich, finanziell oder auf soziale Kontakte bezogen.

Was wir dann in Stille erfahren, ist auch, dass Gefühle wie Trauer hochkommen. Die Gefühle bekommen dann einen Raum, und es lässt sich mit der Realität abprüfen: Wie einsam bin ich wirklich? Wovor konkret habe ich jetzt gerade Angst? Dann werde ich nicht so stark von den Sorgen bestimmt.

 

Naher Kontakt kann trotz Beschränkungen entstehen

Sie haben es schon gesagt: Die Adventszeit bedeutet für viele Menschen eher das Gegenteil von Insichgehen: Weihnachtsgeschenke kaufen, schnell noch die nötigen Dinge auf der Arbeit erledigen, Festtage planen... Und dann kommt in diesem Jahr noch die allgegenwärtige Belastung durch die Corona-Pandemie hinzu: Wie schafft man es friedlich durch diesen Advent zu kommen?
Für mich besteht das Geschenk meines Glaubens darin, dass ich mit ihm einen Anker habe, an dem ich mich festmachen kann. Er schenkt mir das Vertrauen auf eine tiefere Dimension, die hinter aller sichtbaren Wirklichkeit liegt. Es gibt diese andere Wirklichkeit, in der Friede herrscht und Licht aufleuchtet, in der ein naher Kontakt entstehen kann, trotz der gebotenen Abstandsregelungen.

Die Hoffnung auf etwas Neues und Gutes ist ebenfalls Kern des Advents: Ist das vielleicht auch das, was uns durch diese Zeit hilft?
Bedrohung, Herbergslosigkeit und Flucht: All das kommt in der Weihnachtsgeschichte vor. Es geht um Hilflosigkeit und Ohnmacht – und dass etwas Neues darin entsteht. Das Jesuskind ist ja nicht ein für alle Mal geboren, sondern es ist eine spirituelle Geschichte, die besagt: Es mag noch so finster um dich herum sein, aber das Licht wird immer wieder neugeboren wie das göttliche Kind. Wir werden nicht die Gleichen sein in 2021 und es wird auch etwas Heilsames aus dieser Krise geboren werden, davon bin ich überzeugt. Damit möchte ich nicht kleinreden, wie viele Tote wir zu beklagen haben oder wie viele wirtschaftliche Existenzen zerstört sind. Aber es ist immer beides zugegen: das ganz Dunkle und das Hoffnungsvolle, das daraus entsteht.