Mirjam Wagner, 30, sitzt zufrieden auf einem blau gepolsterten Drehhocker und schaut sich um. Obwohl die Praxis winzig ist, fehlt nichts: eine Untersuchungsliege mit Beinstützen ist da, ein Ultraschallgerät und ein CTG, um Herztöne im Mutterleib zu messen.
Wagner ist Frauenärztin, sie hat das „Women’s Health Team“ mitgegründet und organisiert die ehrenamtlichen Einsätze von rund 30 Hebammen und Gynäkologinnen.
Die Johanniter unterstützen das Projekt
Die mobile Praxis öffnet seit Mitte Februar jeden Donnerstag von 17 bis 19 Uhr an der St. Georgskirche am Hauptbahnhof. Eine Ärztin und eine Hebamme sind dann für geflüchtete und obdachlose Frauen im Einsatz. Die Johanniter Unfallhilfe unterstützt das Projekt.
An diesem Donnerstagabend gießt es in Strömen. Kaum jemand ist auf der Straße. Wagner hat Zeit zu erzählen. Sie arbeitet sonst in der Caritas Klinik in Reinbek. Gemeinsam mit der Hebamme Marion Proske-Werrmann hat sie heute Dienst.
"Mein ganzer Körper tut weh"
Das „Women’s Health Team“ ist ihr Herzensprojekt. „Man kann ganz viel bewegen“, sagt sie. Sie genießt, dass sie sich Zeit für die Frauen nehmen kann: „Das ist anders als in unserem getakteten Klinikalltag“.
Die Frauen litten unter Infektionen, wollten schwanger werden oder hätten Fragen zur Verhütung. Manche haben ihre Leiden durch die Flucht lange verschleppt. Andere sind traumatisiert. „Sie sagen ,Mein ganzer Körper tut weh“, erzählt Wagner. Schmerzen, für die sie häufig keine körperliche Ursache finden kann.
Einiges kann das Team schon vor Ort klären. Wenn nicht, überweist Wagner an eine niedergelassene Kollegin. Da viele der Freiwilligen in einer Praxis arbeiten, kommen die Patientinnen schneller an Termine als üblich.
Ein Zelt für Frauen
Entstanden ist das Projekt im August 2015. Damals dienten die Messehallen als Erstaufnahme. Die Initiative „Refugees Welcome Karoviertel“ gründete sich – und mit ihr das Ärztinnenteam.
Sie bauten ein Zelt auf, um den Frauen einen geschützten Raum zu bieten. Und hielten mehrfach pro Woche Sprechstunden. Bald versorgten sie mehrere Erstaufnahmen.
„Frauen für Frauen“ – das ist bis heute das Motto und erleichtert viel. Sich vor einem fremden Mann zu entkleiden, ist für Frauen etwa aus Syrien und Afghanistan zumindest ungewohnt.
Als nach der Schließung der Balkanroute immer weniger Flüchtlinge nach Hamburg kamen und die Stadt Erstaufnahmen schloss, entstand die Idee einer mobilen Frauenarztpraxis.
Sie suchen Telefonjoker
Wagner und ihre Mitstreiterinnen arbeiten derzeit daran, ehrenamtliche Dolmetscherinnen für das Projekt zu gewinnen. Diese können telefonisch Auskunft geben, wenn es bei der Verständigung hapert – und „Google Translator“ auf dem Smartphone nicht weiterhilft.
Hoffnung setzt Wagner auch in eine digitale Patientinnenakte. Per App können Frauen sich ihre Daten auf dem Handy speichern. Diese sind im Notfall für jeden behandelnden Arzt verfügbar.
Der Anfang ist dank Sponsoring gemacht. Doch das Projekt ist weiter auf Spenden angewiesen. Wagner hofft, dass sich der neue Standort schnell herumspricht und viele Frauen kommen – auch wenn es regnet.