Was haben wir daraus gelernt?“ - wiederholte sie langsam die Frage. Das Einzige, was wir daraus gelernt haben, ist Angst zu haben. Angst für unsere Kinder, mit der wir jetzt jeden Morgen aufwachen und abends ins Bett gehen…“ Nach diesen Worten wurden alle still, sie schauten erstaunt auf das Foto von der Kleinen, das Gulnara aus ihrer Tasche rausgeholt hat.
Worte voller Schmerz
Worte aus denen der Schmerz sprach, brachen aus Gulnara hervor. Sie kreisen alle um den Tag, an dem es ihre Tochter plötzlich nicht mehr gab. Ihre Worte voller Angst und Wut waren nicht zu übersetzen, und sie brauchten auch keine Übersetzung.
Die lange Pause, die Gulnaras Erzählung folgte, war für sie offenbar viel mehr Wert als Tausend Trostworte. Die Gesichter von den Zuhörern in diesen Moment bedeuteten für sie, dass das, was sie aus Beslans Katastrophe gelernt hat, jetzt als Botschaft in die Welt hinausging.
Es gibt nur noch "davor" und "danach"
In solchen Katastrophen gibt es kein gut“ und kein schlecht“, - sagte Gulnara. – Die Katastrophe hat unser Leben in zwei Teilen geteilt, für uns gibt es jetzt nur davor“ und danach“. Am Ende des Abends verabschiedete sich Gulnara von einer Diskussionsteilnehmerin mit den Worten: Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ich wünsche Ihnen, dass es Ihrer Familie gut geht und dass Ihre Kinder gesund bleiben.“ In den Augen der Beiden standen die Tränen…
Man hat Gulnara an dem Abend noch lächelnd gesehen - als sie beobachtete, wie die siebenjährige Alina, die die Katastrophe in Beslan überlebt hatte, einem Deutschen kyrillisch beibrachte. Er sollte ihr eine Bestätigung schreiben, dass sie in Hamburg war und an der Diskussion teilgenommen hat. Das war weder für die kleine Lehrerin noch für den erwachsenen Schüler eine einfache Aufgabe. Und nachdem ihr Schüler das Wort Hamburg“ zum zehnten Mal falsch geschrieben hatte und deswegen etwas enttäuscht aussah, half Gulnara ihm lachend mit der richtigen Rechtschreibung. Alle lachten dabei, auch Gulnara. Alle, nur Gulnaras Tochter nicht.
_Tatiana Perevozchikova ist Studentin und hat als Dolmetscherin die Gäste bei der Tagung in der Jugendakademie Allermöhe betreut.