„Da schrie Jesus noch einmal und starb. In diesem Augenblick zerriss der Vorhang im Tempel von oben bis unten in zwei Teile.“ (Matthäus 27, 50 – 51)
Für mich ist dieser Moment, in dem der Blick auf das Allerheiligste frei wird, der vielleicht bedeutsamste Augenblick im österlichen Geheimnis. Unerwartet öffnet sich an Karfreitag plötzlich eine Perspektive, die im Sterben die Einsicht auf ein neues Leben freigibt.
Das Bild des Zerrissenen kann uns lebensnah berühren: Vielleicht sind es die kleinen Ablösungsprozesse und die winzigen Tode, die uns für das große Sterben sanft einüben und eine innere Auferstehung ermöglichen.
Da ist zum Beispiel eine lang gelebte Harmonie in einer Beziehung entzweigegangen. Oder ein zerstörerisches Verhaltensmuster hat uns innerlich fast zerrissen und ist nicht mehr tragfähig.
Altes endgültig verabschieden
Damit Leben im Fluss bleibt, muss ein Zeitpunkt kommen, an dem Altes endgültig verabschiedet, betrauert und „gekreuzigt“ werden kann. In diesen oftmals langwierigen und schmerzhaften Wandlungs- und Übergangserfahrungen fallen Verhüllungen und Vorhänge zerreißen.
In jedem Sterben vollzieht sich zugleich ein neues Werden, in dem wir uns vom Himmel berühren lassen können. Da, wo wir dieses ewige „Stirb und Werde“ als Lebensweisheit anerkennen, kann die zerstörerische Perspektive des Zerreißens heilsame Bedeutung gewinnen.
Ein innerer heiler Ort
Der geöffnete Vorhang steht für die Möglichkeit, einen bis dahin verborgenen Raum zu betreten, in dem uns lebensbejahende Hoffnung neu erfüllen und verwandeln möchte. Können wir uns einer Hoffnung anvertrauen, die dieses Zerreißen als einen notwendigen Schritt betrachtet?
Und kann dieses sterbende Erleben einen ermutigenden Blick auf einen inneren heilen Ort, den Himmel in uns, freigeben – der Einsicht für den nächsten Schritt schenkt und unser Leben inspiriert und verwandelt?
In der Hoffnung, dass Sie Zeit und Muße haben, sich von diesen tröstenden Gedanken bewegen zu lassen, wünsche ich Ihnen einen gesegneten Karfreitag!
Stephan Hachtmann ist Diakon, Meditationslehrer und Seminarleiter für das Herzensgebet. Er arbeitet seit 2004 im Lukas Suchthilfezentrum Hamburg-West/Südholstein und verantwortet den Arbeitsbereich Spirituelle Angebote im Kirchenkreis.
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- Der Begriff Karfreitag leitet sich vom althochdeutschen Wort "Kara" für Klage und Trauer ab. In vielen Kirchengemeinden schweigen die Glocken zu den Gottesdiensten. Manchmal ist der Altar schwarz verhängt und die Orgel bleibt stumm. In den meisten Bundesländern sind öffentliche Veranstaltungen, Märkte und gewerbliche Ausstellungen verboten.
- Die Kreuzigung war die grausamste Hinrichtungsart der damaligen Zeit. Theologen warnen daher davor, die "harten Fakten" von Kreuz und Auferstehung als Ursprung des christlichen Glaubens zu verharmlosen.
- Zwar steht der Karfreitag ganz im Zeichen der Trauer. Für Christen ist das Kreuz aber auch ein Zeichen des Heils. Jesus Christus habe mit seinem Sühneopfer "unsern Leib und unsere Seele von der ewigen Verdammnis" erlöst, erklärt etwa der protestantische Heidelberger Katechismus von 1563. Der Karfreitag dürfe nicht von Ostern und der Auferstehung getrennt werden, betonen Theologen. Das Kreuz stehe auch dafür, dass Gott das Leid und den Tod überwunden habe.
- Alle christlichen Konfessionen sind sich heute einig: Im Leben und Sterben Jesu ist "Gott selbst zur Welt gekommen". Das Kreuz symbolisiert damit auch die Zuwendung Gottes zu den Ärmsten und Schwächsten. Gott selbst habe in Gestalt des unschuldig gekreuzigten Jesus Christus Schmerzen, Leid und Tod erfahren.