Über den Wandel des Armutsideals "Den Rücken für anständig bezahlte Jobs gerade machen"

„Lasset uns mit Jesus leiden,

seinem Vorbild werden gleich,

nach dem Leiden folgen Freuden;

Armut hier macht dorten reich…“

 

Diese Zeilen flossen im Jahre 1653 dem Barockdichter Sigmund von Birken (1626 – 1681) aus der Feder. Für ihn war es völlig selbstverständlich, dass Christsein und Armut ein harmonisches Paar abgeben. Selbstverständlich war ihm auch der Gedanke des Lastenausgleichs nach der Melodie: „Die Letzten werden die Ersten sein.“

 

Die obigen Verse stehen noch unbehandelt in unseren Gesangbüchern. Wo? Das Lied 384 „Lasset uns mit Jesus ziehen“ hat bisher alle Revisionen gut überstanden und wird auch in unseren Tagen brav gesungen. In Gottesdiensten – nicht auf den Fluren der Arbeitsämter und Sozialbehörden. Dort würde man sich mit diesen Versen ganz sicher keine Freunde machen – aber wahr bleibt auch, dass der Gedanke, dass Armut keine Schande ist, sondern ein Gewinn sein kann, ja gute Wohnstatt im Neuen Testament hat.

 

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele“ steht bei Matthäus im 16. Kapitel. Mir fielen diese Worte ein, als in den letzten Wochen Bischof Eddie Long von der New Birth Missionary Baptist Church in Lithonia / Georgia wegen seines Lebenswandels ins Fadenkreuz der Kritik geriet. Warum? Er ist der Chef einer 25.000 Mitglieder zählenden Kirche, hat ein Jahreseinkommen von drei Millionen Dollar, ein Privatflugzeug, diverse Bentleys und bewohnt ein millionenschweres Pastorat.

 

Sein Lieblings-Bibelvers heisst: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“ (Johannes 10, 10). Und er plaudert gern wortgewaltig drauflos, dass Jesus ein Freund der Erfolgreichen gewesen sei und es ein Zeichen des Himmels wäre, wenn man es in diesem Leben schon zu Wohlstand brächte. Daraus könne man obendrein ablesen, ob man zu den Gesegneten oder den Verdammten gezählt würde.

 

Eddie Long, der Pastor und Manager einer der erfolgreichsten schwarzen Gemeinden in den USA wird nun von seinen Kritikern vorgehalten, dass seine Theologie des ‚Prosperity-Gospels‘ nichts anderes sei als eine materialistische Maskerade, die von der Christus-Nachfolge Lichtjahre entfernt sei. Eben nichts anderes als ein simpler Aufguss der Erwählungslehre von St. Augustinus und dem Calvinismus – aufgehübscht mit ein paar betriebswirtschaftlichen Girlanden.

 

Gott sei Dank kann man auch im Jahr des Herrn 2010 gut mit Martin Luther gegen Eddie Long in den Ring steigen: Für Luther hat Arbeit schlicht die Aufgabe, dem Müßiggang zu wehren, Nahrung zu erwerben und dem Nächsten nützlich zu sein. Aber: „Nicht auf eigen Arbeit und Tun sich verlassen, sondern arbeiten und tun und doch alles allein von Gott erwarten.“ (WA 31, 1, 437, 12 – 14). Betteln lehnt er in der Leisniger Kastenordnung strikt ab und mahnt an, dass Menschen, die wegen Krankheit und Alter nicht arbeiten können, zu unterstützen sind.

 

Das ist ja kein schlechter Tipp für den Umgang mit Armut: Die Armen sind zu unterstützen, solange sie nicht aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die Erfolgreichen sollen Gott dafür danken, dass sie die Chance haben, Armut zu lindern. Unter Hamburger Kaufleuten gab es den Spruch: „Verdiene so viel Geld wie möglich, damit du so viel wie nötig an die Armen abgeben kannst.“ Weder Armut verklären noch Reichtum vergötzen heißt das, auch keinen Müßiggang prämieren. Denn: Arbeit ist für Luther auch Gottesdienst.

 

Deshalb kann es ein guter Auftrag sein, den Rücken für anständig bezahlte Jobs gerade zu machen – und gegen unanständig bezahlte auch. Damit die Nächstenliebe nicht aus dem Blick verschwindet. Und ohne die wären wir – früher oder später - alle arm dran.

 

 

Matthias Neumann ist Pastor in der Christus-Kirchengemeinde in Hamburg-Othmarschen

 

 

mk (www.kirche-hamburg.de)