Hamburgs erste Professorin für Islamische Theologie Den Koran neu zum Sprechen bringen - Dialog ist alternativlos

Religionen würden gar nicht so sehr durch das bestimmt, was ihre Texte den Menschen vorgeben, sagte Amirpur. Es gehe eher um das, was Menschen aus diesen Texten machten. "Der Koran ist eine Schrift, die zwischen zwei Buchdeckeln versteckt ist. Er spricht nicht", sagte sie. Vielmehr bedürfe der Koran immer eines Übersetzers: "Es sind die Menschen, die ihn zum Sprechen bringen."

 

Richtig interpretieren

Das gelte für die heiligen Schriften des Judentums und Christentums auf ähnliche Weise. In allen drei Offenbarungsreligionen gebe es Texte, die zu gewaltfördernden Überzeugungen führen können, wenn sie nicht richtig interpretiert werden.

 

Kriterien für die richtige Interpretation seien etwa die Einhaltung der Menschenrechte oder die Akzeptanz Andersgläubiger. Amirpur: "Eine säkulare Sicht auf die Religionen ist meiner Ansicht nach die allererste Voraussetzung für den Dialog."

 

Alte Texte neu lesen

Eine moderne Dialog-Theologie in Europa könne sich aber nicht völlig losgelöst von der islamischen Welt entwickeln. Sie müsse sich rückversichern, und es müsse Anschlussmöglichkeiten, Vorbilder und Anknüpfungspunkte geben. Dafür jedoch gibt es laut Amirpur in der islamischen Kultur nahezu jede Menge Stoff - "wenn man nur hingeht und die alten, prägenden Texte neu liest".

 

Einer der bedeutendsten mystischen Koran-Kommentare sei der "Mathnavi" aus dem 13. Jahrhundert. Sein persischer Verfasser Maulana Dschelaleddin Rumi starb 1273 im türkischen Konya - das Grabmal sei bis heute ein Wallfahrtsort. Muri habe die Geschichte eines Elefanten erzählt, der in einem vollkommen dunklen Haus in Indien ausgestellt war und nur ertastet werden konnte.

 

Je nachdem, welche Körperteile die Menschen berührten, hätten sie ihn für eine Regenrinne (Rüssel), für einen Fächer (Ohr), für eine Säule (Bein) oder für einen Thron (Rücken) gehalten. Muris Geschichte schloss mit den Versen: "So kam ein jeder nur zu seinem Teil / und er verstand nur dies, und nicht das Ganze // Doch hielte jeder einer Kerze Licht, so gäbe es die Unterschiede nicht."

 

Dialog ist alternativlos

Zum Dialog der Religionen gebe es heute keine Alternative, sagte Amirpur. Es gehe wesentlich darum, den alten Texten aller Religionen eine neue Lesart zu geben oder einer alten Lesart eine neue Aktualität. Ihre Tätigkeit in der "Akademie der Weltreligionen" biete die große Chance, jungen Menschen diese dialogorientierte Sichtweise nahezubringen, damit sie sie ihrerseits in Schule und Lehre weitergeben könnten.

 

Amirpur, 1971 in Köln geboren, studierte Islamwissenschaft und Politologie in Bonn sowie schiitische Theologie in Teheran. Sie lehrte an der Freien Universität Berlin, den Universitäten in Bamberg, Bonn und Zürich sowie an der Hochschule für Philosophie München. Als freie Journalistin schreibt sie unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung", die "tageszeitung (taz)" und die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit". Sie ist verheiratet mit dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani und Mutter zweier Töchter.