Es ist doch ein merk-würdiger Grundton in der Debatte um die sogenannten Großwohnsiedlungen für Geflüchtete: „Der Flüchtling“ erscheint nur mehr als Massenphänomen, dem „wir“ irgendwie Herr (!) werden müssen. Die Schicksale der geflüchteten Menschen werden als Frage unserer eigenen (Platz-)Ängste verhandelt. Wir, die wir schon in dieser Stadt leben, sind Subjekt, „die Flüchtlinge“ Objekt unserer Belastung.
Was wäre, wenn anstatt der durch die Bürgerinitiativen initiierten lokalen Diskussionen um Obergrenzen öffentliche Gespräche über Untergrenzen stattfinden würden? Das heißt: Wie viele geflüchtete Menschen müssen wir in unseren Stadtteilen mindestens aufnehmen, um so schnell wie möglich gute Bedingungen für die neuen Nachbar_innen zu schaffen, die Teil unserer postmigrantischen Stadtgesellschaft sein werden?
Was braucht es dafür in den Quartieren an formaler und informeller Infrastruktur, welchen Zugang zu Sprache, Bildung, Kultur?
Und wie kann Teilhabe und Partizipation aller – der in den Stadtteilen lebenden Menschen und der Ankommenden – vor Ort gelingen?
Weg von der problemfixierten Debatte
Die neuen Ankommensorte als städtische Zukunftsorte zu beschreiben und zu entwickeln, ohne die damit verbundenen Herausforderungen zu negieren oder klein zu reden – das wäre ein anderer Zungenschlag in einer fast ausschließlich problemfixierten und -motivierten Debatte. Denn diese lässt keinen Raum für positiv besetzte Visionen in dem, was für Stadt und Menschen mit den Ankommenden neu und gewinnbringend entstehen kann.
Idealtypische Stadtentwicklungsprozesse sind angesichts der gebotenen Notwendigkeiten nicht möglich. Bis Ende 2016 werden 79 000 Wohnplätze gebraucht, die Lebensumstände der geflüchteten Menschen in Ex-Baumärkten und Containersiedlungen sind elend.
Es ist darum richtig, dass die Stadt schnell handelt. Und dass sich das „Wohnproblem“ nicht nur mit kleinteiligen Projekten in der geforderten Geschwindigkeit lösen lässt, ebenso.
Gemeinsam zu einer städtischen Einwanderungsgesellschaft
Die Rede von einer Ghettoisierung ist hingegen doppelt falsch. Erstens sind mit einzelnen Ausnahmen keine Wohnprojekte über 800 Wohneinheiten geplant. Über Großwohnsiedlungen spricht man bei 2000 Wohneinheiten aufwärts. Beispiele bereits existierender Großwohnsiedlungen in Hamburg, die den Namen verdienen: Neuallermöhe – 9039 Wohnungen mit knapp 24.000 Bewohnern, Mümmelmannsberg – 7611 Wohnungen, in denen rund 18.000 Menschen leben. Zweitens weist sie innere Bilder von geflüchteten Menschen aus, die stigmatisierend auf diese zurückwirken.
Es ist der Grundton, es sind die bewusst und unbewusst eingesetzten Zwangslogiken und Sprachbilder, die polarisieren und Menschen und Stadtteile emotionalisieren und spalten. Die Transformation hin zu einem äußeren und inneren Selbstverständnis als „städtische Einwanderungsgesellschaft“ muss gemeinsam gelernt werden. So nicht.
Silvia Schmidt leitet den Bereich Bildung im Kirchenkreis Hamburg-Ost