"Es gab immer schon Geister, die spirituell herumfliegen", sagte Caberta. Doch heute sei vor allem das Internet zum "spirituellen Supermarkt" geworden, in dem "selbst ernannte Wunderheiler und Seelenfänger" zunehmend unüberschaubar ihr Unwesen trieben. Die Tendenz sei steigend: Schätzungen zufolge würden mit esoterischen Themen allein in Deutschland rund 20 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erzielt. Vor fünf Jahren seien es noch rund sechs Milliarden Euro gewesen.
Vermeintliche Heilsbringer
Gründe für den Boom seien allgemeine Orientierungslosigkeit, Angst vor sozialer Verantwortung, Selbstzweifel und fehlendes Selbstbewusstsein, so die Expertin. Manchmal reichten schon die Langeweile im eintönigen Alltag und das Bedürfnis nach irgendeiner Art von Veränderung im Leben, um unkritisch auf vermeintliche Heilsbringer hereinzufallen. "Schnelle Lösungen" für private oder politische Probleme seien jedoch "immer eine Gefahr für die freiheitliche Demokratie".
Keineswegs gefeit gegen diese Entwicklung seien auch die christlichen Kirchen. Auch der Deutsche Evangelische Kirchentag biete mancherlei esoterischen Unsinn. Exemplarisches Beispiel sei der ehemalige TV-Pfarrer Jürgen Fliege, der "ohne Hemmungen vom evangelischen Pastor zum Esoteriker mutiert" sei. Er habe sich "als netter Mensch" in die Köpfe der Menschen eingeschlichen, und heute verkaufe er sein "komisches Weihwässerchen".
Andere prominente Aushängeschilder der Esoterik-Szene seien etwa die Sängerin Nena (99 Luftballons) mit ihren "spirituellen Ausflügen" und H.P. Kerkeling mit seinem Jakobsweg-Bestseller. Wenn Kerkeling sich als "Buddhist mit christlichem Überbau" bezeichne, müsse er sich fragen lassen, wie viele Opfer des Psychomarktes er damit schon produziert habe. In unsicheren Zeiten seien viele Menschen empfänglich dafür, sich ihre eigene Religion zusammen zu basteln.
Kirchen sollen klare Grenzen ziehen
Caberta kündigte an, mit ihrem Buch eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung anstoßen zu wollen. Esoterik sei nicht nur "entspannte Barbarei" oder "ideologischer Mischmasch", sondern müsse als antidemokratisches Phänomen diskutiert werden. "Vor allem müssen wir handeln, bevor die ersten Opfer zu beklagen sind". Auch die Kirchen müssten lernen, "klare Grenzen" zu ziehen und kritisch mit ihren eigenen fundamentalistischen oder charismatischen Strömungen umgehen: "Die Grenzen sind fließend."
Ursula Caberta leitete von 1992 bis 2010 die Arbeitsgruppe Scientology bei der Behörde für Inneres im Hamburger Senat. Seit dem 1.1.2011 ist sie Ministerialreferentin für neureligiöse, ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen bei der Innenbehörde.
Literaturhinweis: Ursula Caberta, Schwarzbuch Esoterik, Gütersloher Verlagshaus, 189 Seiten, 17,99 Euro