Gastbeitrag Burnout – Ein theologischer Blick auf die eigenen Grenzen

Das ist ein unmenschlicher Irrtum, der wie eine Seuche grassiert. - Und das nicht nur bei Managern, Künstlern, Politikern, Fussballern und Kreativen aller Sorten. Der Zwang zum Erfolg, zum Aufstieg, zum Gewinnen legt vielen Menschen eine solche Last auf die Seele, dass sie eines Tages zusammenklappen. Warum? Weil das alles nie mit dem guten Gefühl verbunden ist, dass es eines Tages gut sein könnte. Das es genug der Schinderei sei. Vielmehr steht auf einem virtuellen Spruchband am Himmel mit riesigen Lettern: „Du musst noch besser werden. Sofort!“

 

Weitere Burnout-Kliniken

Übrigens grassiert das Siechtum auch in der Kirche - der Heimstätte des leicht gesagten Satzes: „Gott nimmt dich so an wie du bist“. Auch diejenigen die diesen Satz verbreiten, die Pastorinnen und Pastorinnen, kippen seit einiger Zeit immer häufiger aus dem Talar: In Niedersachsen gibt es inzwischen zwei Kliniken nur für ausgebrannte Seelenhirten. „Du musst!“ „Es reicht nicht!“ „Zu wenig!“ macht auch vor den Türen der Pastorate nicht halt.

 

Dabei ist die Botschaft der Bibel ja durchaus bekannt, dass der Versuch nicht funktionieren kann, keine Fehler zu machen, keine Schuld auf sich zu laden und jedwede Ansprüche erfüllen zu können. Mit einem solchen Wahnsinns-Skript kann man fix in den düsteren Gewölben der Depression verloren gehen. Gibt es Gegenwehr?

 

Barmherzig mit Schwäche umgehen

Der Apostel Paulus gehört zu den Menschen, die mit dem Imperativ: „Ich kann vor Gott und den Menschen alles richtig machen!“ vom hohen Ross herab mitleidlos auf alle herabsah, die an diesem Ziel scheiterten – bis er eines Tages selbst vom Pferd fiel. Das brachte ihn dazu, mit seiner Schwäche und den Schwächen anderer Menschen barmherziger umzugehen. Und das nicht durch angestrengtes Nachsinnen oder durch einen Geistesblitz, sondern durch die Zusage Jesu: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ So heisst die Jahreslosung für das nächste Kirchenjahr.

 

Paulus stellt in der Nachfolge Jesu den üblichen Katalog von Siegen und Verlieren auf den Kopf: Das, was üblicherweise als Stärke angerechnet wird wie Kraft, Gesundheit, Ruhm, Reichtum, Wissen, Einfluss etc. sortiert er auf die Verlierer-Seite. Und was eigentlich als Schmach gilt: Ohnmacht, Krankheit, Leiden, Trauer, Sterben und Tod - sieht er als Quelle für einen anderen Blick aufs Leben – einen Blick, der Gottes Ja zum Urgrund des Lebens macht. Gottes Gnade. „Du musst nicht alle Kraft darauf verwenden, dich selbst erlösen zu müssen.“

 

Münchhausen, der sich selbst samt Pferd aus dem Schlamassel zieht, ist ein Lügenbaron. Und auch Pastoren sind nicht die religiös gepimpte Batman-Ausgabe, sondern aus Gottes Ja Lebendige. Mit Schwäche, Ohnmacht, Ratlosigkeit und Angst vor dem Scheitern – und dabei trotzdem in der Liebe Gottes geborgen. Nicht im grandiosen Erfolg. Wie alle anderen Menschenkinder auch. Daran erinnert uns im kommenden Jahr 2012 die Jahreslosung auf’s Neue: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig! (2. Kor 12,9)

 

Matthias Neumann ist Pastor in der Christuskirche in Othmarschen. Er schreibt regelmäßig Beiträge für die Wochenzeitung "Die Zeit".