Herr Petermann, glauben Sie an den Teufel?
Ich glaube, dass es das Böse gibt. Wenn der Teufel es verkörpert, wird es auch ihn geben. Doch meine Erfahrung ist: das Böse liegt in der Tat.
Wie meinen Sie das?
Ein Tatort zu dem ich gerufen werde, sieht abscheulich, brutal und befremdend aus. Doch ich hüte mich davor, Tat und Täter zu bewerten, weil das die Aufklärung erschweren würde. Doch nicht jeder, der Böses tut, muss auch per se böse sein.
Sie haben im Lauf ihres Berufslebens weit über 1000 ungeklärte Todesfälle bearbeitet, rund 300 davon waren Verbrechen.
Unter den Tätern, die ich kennengelernt habe, waren nur zwei oder drei, von denen ich sagen würde, sie haben das Böse verkörpert. Das heißt, sie haben mit Freude berichtet, was sie einem anderen Menschen angetan haben – ohne jede Empathie.
Wie kommt das Böse ins Leben?
Ein Neugeborenes ist unschuldig und frei von Bösem. Die Gene spielen zwar möglicherweise eine Rolle. Viel mehr beeinflusst uns aber, wie wir aufwachsen: Wie wir als Menschen angenommen werden. Ob wir gelernt haben, uns einzufühlen und unsere Impulse zu kontrollieren. Manche Täter spalten die Gewalt, die sie selbst erfahren haben, von sich ab und geben sie weiter, als Selbstschutz. Sie haben kein Unrechtsbewusstsein.
Wie gelangt man auf die Spur des Bösen?
Um eine Tat zu verstehen, ist es wichtig herauszufinden, was genau bei dem Verbrechen passiert ist und wie der Täter sich etwa auf Reaktionen eines Opfers verhalten hat.
Sie gehen dabei sehr akribisch vor. In ihrem jüngsten Buch „Der Profiler“ schildern Sie, wie Sie rohes Fleisch am Tatort auslegen, um zu sehen, wie schnell Fliegen davon angezogen werden. Das hilft, Ihnen den Todeszeitpunkt zu bestimmen.
Alles was ich bei einem ungeklärten Todesfall habe, ist die sichtbare Spur. Als Profiler suche ich jedoch die Spur hinter der Spur. Diese verkörpert die Bedürfnisse des Täters. Mich interessiert, das Motiv des Täters. Wenn ich das herausgefunden habe und alles zusammen passt, sollte ich sein Profil kennen.
Was fasziniert Sie an der Beschäftigung mit dem Bösen?
Ich erfahre sehr viel über grundlegende Gefühle und Bedürfnisse des Menschen. So können zwei völlig unterschiedliche Personen auf ähnliche Weise töten, wenn sie dasselbe Motiv haben, etwa aus Eifersucht handeln. Die Handschrift des Bösen ist also zu einem gewissen Grad übermenschlich.
Hat sich ihre Sicht auf die Welt durch Ihren Beruf verändert?
Ich bin immer noch relativ blauäugig und vermute nicht hinter allem das Böse. Und ich habe gelernt, mich während der Arbeit von der Qual und Pein der Opfer abzugrenzen. Allerdings war es für meine Frau nicht so leicht, mit meinem Beruf umzugehen. Ich bin in Bremen in der Szene relativ bekannt. Einmal stand eine Prostituierte vor unserer Tür, die fürchtete vergewaltigt und getötet zu werden. Ein anderes Mal versuchte die Mutter eines Mörders die Tat gegenüber meiner Frau zu relativieren. Daher sind wir relativ bald nach der Geburt unseres zweiten Kindes aufs Land gezogen.
Axel Petermann war Leiter der Mordkommission Bremen und hat dort die „Operative Fallanalyse“ – das in den USA entwickelte „Profiling“ - etabliert. Seit 2000 ist er ständiger Berater des Bremer Tatort, vier seiner Fälle wurden für die ARD verfilmt. Seine drei Bücher wurden zu Bestsellern.
Beim Luther-Lesefestival „Martinstage“ wird Axel Petermann mit dem Hamburger Gefängnisseelsorger Christian Braune und der Schriftstellerin Tina Uebel über das Böse und die Natur des Menschen diskutieren.
Zeit: Freitag, 13. November, 19 Uhr
Ort: Lichthof der Staatsbibliothek, Edmund-Siemers-Allee/Ecke Grindelallee