„Auf den Spuren unserer Väter und Mütter“ – eine Gedenkreise nach Minsk

Namen der Opfer hängen im Wald von Blagowschtschina

Dass Auschwitz, Majdanek oder Treblinka Vernichtungslager waren, ist bekannt – aber den wenigsten sagt der Name „Trostenez“ etwas. Erst jetzt, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, soll eine Gedenkstätte an dieses Vernichtungslager am Stadtrand von Minsk in Belarus (Weißrussland) erinnern. Hier wurden während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 zwischen 50.000 und 206.500 Menschen getötet, verscharrt, später exhumiert und verbrannt. Pfingstsonntag 2014 wurde der Grundstein für die neue Gedenkstätte gelegt. Monika Rulfs war dabei und hat ihre Eindrücke notiert.

 

Früh am Morgen, Pfingstsonntag, fahren wir in großen Bussen an den Minsker Stadtrand. Was wir erst seit wenigen Tagen wissen: Staatspräsident Alexander Lukaschenko selbst will den Grundstein für die Gedenkstätte Trostenez legen. So wird aus der Grundsteinlegung ein Staatsakt. Wir, das sind 130 Angereiste aus Deutschland, Österreich und Tschechien und rund 500 Menschen aus Belarus, darunter Überlebende, ehemalige Partisanen und Zwangsarbeiter.

Grundsteinlegung wird zum Staatsakt

Unsere Busse werden von der Polizei eskortiert und müssen an keiner Ampel halten. An einer Kreuzung zwischen Wiesen, mit dem Blick auf die Hochhäuser des Minsker Stadtrands, steigen wir aus. Dort steht eine kleine Holztribüne an einem extra gepflasterten Pfad. Drum herum ein paar Männer, Frauen und Kinder und vor allem viele Menschen in Uniform.

Langes Warten um kontrolliert zu werden. Bachs h-Moll-Messe dröhnt aus Lautsprechern. Endlich rollen die Staatslimousinen an; dann geht alles ziemlich schnell. Blasorchester-Tusch, drei kurze Reden: von Staatspräsident Lukaschenko, von dem Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, und von einer Jugendlichen. Lukaschenkos zehnjähriger Sohn Nikolai in einem hellen Anzug versenkt eine Kapsel in einem Felsbrocken; Lukaschenko selbst verschließt das Loch dieses Grundsteins mit einer Gedenktafel.

Schüsse über dem Gedenkort

Die Gedenkstätte, die hier entstehen soll, hat der im Februar verstorbene Architekt und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Leonid Lewin entworfen. Seine Tochter Galina wird seine Arbeit fortführen. „Die Besucher sollen den Schmerz eines jeden empfinden. Belarussische und europäische Juden wurden gemeinsam ermordet. Die Vernichtung des Menschen durch den Menschen ist ein Paradox. Es ist ein Schmerz, der sich auf die gesamte Menschheit bezieht. Dieser gehört nicht nur unserem Land, sondern ist unsere gemeinsame Geschichte“, wird sie später in ihrer Ansprache sagen.

Alle zucken zusammen, als Soldaten drei Salutschüsse schräg über unsere Köpfe feuern. Gesang, Bläser, Ende.

Namenszettel an den Bäumen erinnern an die Opfer

Im nahegelegenen Wald von Blagowschtschina versammeln sich rund 400 Menschen zum zweiten Akt des Gedenkens, einer interreligiösen Gedenkfeier. Hier erinnern bisher lediglich ein kleiner Stein und laminierte Namenszettel an Kiefernstämme geheftet an einige Opfer – eine von österreichischer Seite initiierte Aktion. Die Besucher legen rote Rosen, rote Nelken, Steine und Gestecke aus Kunstblumen nieder, hören die Worte von katholischen, evangelischen und jüdischen Geistlichen und beteten Vaterunser und Kaddisch. Hier wird der zweite Teil der Gedenkstätte entstehen.

Nachmittags lange Reden im IBB, dem Internationalen Begegnungswerk „Johannes Rau“ Minsk, einem Tagungszentrum, vor 20 Jahren gebaut, gemeinsam getragen und mit Leben gefüllt von Deutschen und  Belarussen. Aus sechs deutschen Städten, aus denen Juden nach Minsk deportiert worden waren – Köln, Düsseldorf, Berlin, Bremen, Hamburg und Frankfurt –, sowie aus Wien und Theresienstadt (Tschechien) übergeben Delegierte Listen mit den Namen von 22.000 Deportierten, die in den Jahren 1941 und 1942 in Minsk umgebracht wurden.

Keine Familie in Belarus ist ohne Opfer

Für Hamburg übergibt Barbara Duden, Vize-Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, eine Liste mit 1.300 Namen. Sie ist Teil einer 20-köpfigen Hamburger Gruppe; die meisten sind Mitglieder des Unterstützerkreises für eine Gedenkstätte (in Trostenez) und unterstützen ihren Bau auch finanziell. Sie kommen vom Freundeskreis KZ Gedenkstätte Neuengamme, vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, aus den ev.-luth. Kirchenkreisen und aus zwei Altonaer Kirchengemeinden. Allein die Kirchen sind mit rund 10.000 Euro an den Kosten beteiligt

Der ehemalige Bürgermeister von Bremen, Henning Scherf, ist mit seiner Frau Louise angereist. Er sagt, dass kein Land unter den Nazis so gelitten habe wie Belarus. „Keine Familie in Belarus ist ohne Opfer.“ Und: „Wir wollen diesen wichtigen Weg der Verständigung nicht allein den Politikern überlassen. Wir wollen alle daran beteiligt sein.“

Wir sind Opfer- und Täterkinder

An die Grundsteinsteinlegung schließt sich eine mehrtägige Konferenz an. Es geht um Geschichte und Gegenwart, um erfolgreiche Gedenkstätten-Konzepte und um Begegnungen und Zusammenarbeit von Belarussen und Deutschen. Das Besondere: Viele Teilnehmer haben einen Bezug zur Geschichte von Belarus. Wir sind Opfer- und Täterkinder. Es ist uns ein gemeinsames Anliegen, das Gedenken zu bewahren.

Monika Rulfs

 

Weitere Informationen:

 

Bildergalerie (zum Anschauen auf die Fotos klicken):

In großen Bussen zum Stadtrand von Minsk

Mit dem Blick auf die Hochhäuser der Hauptstadt

Daneben ein typisches Haus auf dem Land

"... vor allem viele Menschen in Uniformen"

Staatspräsident Alexander Lukaschenko selbst legt den Grundstein für die Gedenkstätte Trostenez

Autorin Monika Rulfs (Mitte) auf dem Weg zur christlich-jüdischen Gedenkfeier

Auf dem Weg durch den Wald von Blagowschtschina

Gemeinsame Gedenkfeier von Christen und Juden

Galina Lewina - ihr Vater entwarf die Pläne für die Gedenkstätte

Namen der Opfer hängen im Wald von Blagowschtschina

Barbara Duden, Vize-Präsidentin der Hamburger Bürgerschaft, überreicht Hamburger Namensliste

Der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf mit Ehefrau Louise (Mitte)

Die Hamburger Pastorin Annette Reimers-Avenarius (links) im Gespräch mit Wolfgang Brauer und Bernd Schröder aus Altona

Teil der Hamburger Gruppe - gemeinsames Gedenken bleibt das Ziel

IBB - Internationales Begegnungswerk "Johannes Rau" Minsk