Im Portrait: Die Überzeugungstäterin Antje Heider-Rottwilm übergibt die Brücke

Am Morgen hat sie noch den Gottesdienst für die Europa-Woche vorbereitet, die in der kommenden Woche beginnt. Jetzt eine kurze Pause auf der Dachterrasse der „Brücke“. Wolken ziehen, Wind fährt ihr ins Haar, nicht allzu weit entfernt ragen die Türme von St. Katharinen und St. Nikolai in den Himmel. Bald werden sie und die anderen Hausbewohner hier wieder Kübel aufstellen, Blumen, Tomaten und Salat anbauen – „Urban Gardening“ in der HafenCity.

 

Als Heider-Rottwilm vor rund acht Jahren von dem Projekt hörte, konnte sie sich nicht vorstellen, wie stark es ihr Leben verändern würde. Der 2002 gegründete Verein „Die Brücke“ hatte ein Bet-, Lehr- und Gasthaus für die HafenCity geplant. Er suchte eine christliche Gemeinschaft, die dem ganzen Leben einhauchen sollte.

 

Ankommen in der „Wüste“

 

Die Wahl fiel auf den Laurentiuskonvent: Menschen, die als geistliche Gemeinschaft verbindlich zusammen leben und sich für eine friedlichere und gerechtere Welt engagieren. Heider-Rottwilm und ihr Mann gehören dazu. Sie gab ihren Job als Leiterin der Europaabteilung der EKD auf, er seinen als Schulleiter in Berlin. Mit einem weiteren Paar zogen sie in die HafenCity, ihre drei Kinder waren da schon aus dem Haus. „Die Fläche hier war eine einzige Wüste“, erinnert sie sich.

 

Sie stellten einen Container als Kapelle auf, Altbischöfin Maria Jepsen stiftete eine Glocke und sie luden zu Mittags- und Abendgebeten ein. Mitarbeiter aus den Büros kamen, Bewohner, Touristen.

 

Wenig später begann der Bau des Hauses an der Shanghaiallee. Das kombinierte Kirchen-, Wohn und Bürogebäude wurden vor zwei Jahren eingeweiht. Im Erdgeschoss eine Kapelle, das Café „ElbFaire“ mit Veranstaltungssaal. In den Wohnungen darüber leben neben Heider-Rottwilm, ihrem Mann und den anderen Mitgliedern des Konventes 39 Menschen vom 80-jährigen bis zum Neugeborenen.

 

Ein neues Experiment beginnt

 

Heider-Rottwilm ist eine Überzeugungstäterin. Zur Europawoche organisiert sie eine Diskussionsrunde zur Schuldenkrise. Am 20. Mai bringt sie zur Europawahl Politiker und Fachleute aus der Kirche auf ein Podium. Immer wieder werden sie und Kollegen aus dem Ökumenischen Forum gebeten, Plätze und Neuanfänge zu segnen, wie den Bau der U-Bahn oder eine Brücke. „Ich hätte nicht erwartet, dass wir so stark gebraucht werden.“ Ihr Arbeitstag ist lang, oft ist sie von morgens neun bis abends um 23 Uhr auf Trab.

 

Doch das wird sich ab dem ersten Juli ändern. Dann gibt sie die Leitung an die mennonitische Pastorin Corinna Schmidt ab, die auch ins Haus zieht. Gemeinsam werden sie sortieren, wo sie sich engagiert und wo sie sich zurückzieht –„ein Experiment“, wie Heider-Rottwilm sagt. Sie freut sich auf mehr Zeit: für Gespräche im Haus, mit ihren vier Enkeln, als Vorsitzende von „Church and Peace“, dem europäischen Netzwerk für Gewaltfreiheit, und auf einen Lehrauftrag in Kiel.

 

Die Themen werden ihr nicht ausgehen. Rüstungsexporte aus dem Hafen, Schiffsabgase, Weiterentwicklung der HafenCity: „Da müssen wir ran.“ Doch jetzt läutet erst einmal die Glocke zum Mittagsgebet. Antje Heider-Rottwilm schaltet ihr Handy ab, geht nach unten in die Kapelle und zündet die Kerze auf dem Altar an.