Beschneidung Achtung vor fremden Ritualen

Frage: Ist da ein falsches Urteil vom Kölner Landgericht gesprochen worden?

 

Görrig: Das Kölner Urteil bezieht sich auf einen einzelnen Fall, der die Strafbarkeit von Beschneidungen nicht einwilligungsfähiger Jungen aus rein religiösen Gründen aufwirft. Da die muslimische und auch jüdische Beschneidungspraxis in aller Regel genau diese Kriterien erfüllt, ist erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden.

 

Wie begründen Juden und Muslime das Beschneidungsgebot?

 

Das jüdische Beschneidungsgebot stammt aus der Tora (1. Mose 17, 11-12). Auch Jesus wurde am achten Tag nach seiner Geburt beschnitten (Lukas 2,21). Das muslimische Beschneidungsgebot steht nicht direkt im Koran, ist aber in der prophetischen Tradition der Sunna verankert.

 

Warum wurde die Beschneidungsdebatte in Deutschland mit soviel Kopfschütteln begleitet?

 

Es geht hier um Fragen der Gewichtung. Aus medizinischen Gründen ist eine Beschneidung nicht notwendig, das Kindeswohl muss beachtet werden und auch Religionsgemeinschaften unterliegen Regeln und Gesetzen. Auf der anderen Seite stehen das Entscheidungsrecht der Eltern, die Religionsfreiheit und die Frage, ob es nicht auch zum Wohle des Kindes ist, den religiösen Vorstellungen und Ritualen seiner Eltern gemäß aufzuwachsen.


Ist die Beschneidung von Jungen denn der Taufe im Christentum vergleichbar?


Nicht im Blick auf die Handlung selbst, wohl aber hinsichtlich der Funktion als Initiation und Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft. Zudem werden beide Rituale meist im Kindesalter, vor Erreichen des Alters der Religionsmündigkeit, durchgeführt. Schließlich sind Taufe und Beschneidung einmalige, nicht wiederholbare Ereignisse. Wer einmal getauft wurde, wird auch dann nicht wieder getauft, wenn er oder sie zwischenzeitlich der Kirche den Rücken gekehrt hat.

 

Wo liegen die Grenzen der religiösen Selbstbestimmung - wenn Mädchen aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht abgemeldet werden?

 

Sport und Schwimmen gehören zur schulischen Ausbildung und sind in aller Regel auch mit religiösen Vorstellungen vereinbar. Nur in begründeten Ausnahmefällen, wenn ein nach Geschlechtern getrennter Sportunterricht nicht möglich ist und ein Gewissenskonflikt mit der eigenen Glaubensüberzeugung nachvollziehbar dargelegt wird, ist eine Befreiung vom Sportunterricht möglich. Zuvor sollten jedoch alle anderen Möglichkeiten geprüft werden, z.B. Ganzkörperbadeanzüge.

 

Denken Sie, dass der christlich-islamische bzw. christlich-jüdische Dialog aufgrund des Urteils und der folgenden Diskussion Schaden genommen hat? Oder sehen Sie auch die Chance einer vertieften Auseinandersetzung?

 

Chancen zur Vertiefung gibt es immer. Dazu braucht es allerdings nicht erst solche Aufsehen erregenden Urteile und Diskussionen. Das Wesentliche im interreligiösen Dialog ist die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und mit- und voneinander zu lernen. Dazu gehört auch der Respekt und die Achtung gegenüber religiösen Bräuchen und Ritualen, die einem vielleicht zunächst als fremd oder unzeitgemäß anmuten. Schaden nähme der Dialog dann, wenn sich Juden und Muslime als Folge des Beschneidungsurteils in diesem Land nicht mehr dazugehörig fühlen würden.