Interview zu "Tschüss Kohle" "Wir als Kirche müssen uns bei Umweltfragen auch politisch äußern"

Sylvia Hansen und Ulrike Eder engagieren sich für den Kohleausstieg

„Tschüss Kohle“ – unter diesem Motto steht die Volksinitiative, die am 21. Februar im Hamburger Rathaus an den Start gegangen ist. Der Kirchenkreisrat Hamburg-Ost hat das UmweltHaus am Schüberg beauftragt, als Unterstützer der Volksinitiative mitzuwirken. Im Interview erklären zwei Köpfe des Bündnisses, was Hintergründe und Ziele der Initiative sind.

Mit der Initiative „Tschüss Kohle“, an der u. a. auch das Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche federführend beteiligt ist, sind alle Hamburger*innen aufgerufen, per Unterschrift den Kohleausstieg zu unterstützen. Die Initiative will erreichen, dass in Hamburg ab 2025 keine Wärme und ab 2030 auch kein Strom mehr aus Kohle produziert wird.

Wir haben mit Sylvia Hansen, UmweltHaus am Schüberg und Klimaschutzbeauftragte des Kirchenkreises Hamburg-Ost, und Ulrike Eder, Infostelle Klimagerechtigkeit im Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche und Vertrauensperson der Volksinitiative gesprochen.

Die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ wird von einem breiten Bündnis getragen. Warum beteiligen Sie sich als kirchliche Vertreterinnen?
Eder:
Wir haben im Zentrum für Mission und Ökumene schon seit 13 Jahren die Infostelle Klimagerechtigkeit, weil der Kampf gegen den Klimawandel für uns eine Frage weltweiter Gerechtigkeit ist. Außerdem engagiert sich auch die Nordkirche selbst für den Klimaschutz, allen voran mit dem Klimaschutzgesetz von 2015, das besagt, dass alle Gemeinden und Einrichtungen in der Nordkirche bis 2050 CO₂-neutral sein sollen. Für uns ist das Engagement in der Volksinitiative eine logische Konsequenz unserer jahrelangen Arbeit. Im Einsatz für die Schwächsten der Gesellschaft müssen sich kirchliche Einrichtungen politisch äußern. Klimagerechtigkeit hat eine wichtige weltweite Komponente. Man darf den Klimawandel als Fluchtursache in keiner Weise unterschätzen. Wir in den Industrieländern haben daran einen ganz wesentlichen Anteil und deshalb tragen wir auch eine besondere Verantwortung.
Hansen: Wir als Kirche müssen uns bei Umweltfragen auch politisch äußern und einen Standpunkt wie den Kohleausstieg vertreten und unterstützen. Die Bewahrung der Schöpfung ist ein ureigenes kirchliches Anliegen. Somit ist es unsere Aufgabe und Verantwortung den Kirchenmitgliedern gegenüber, die von uns erwarten und fordern, dass wir uns aktiv für den Klimaschutz einsetzen.

Sie haben ja bewusst das plebiszitäre Mittel der Volksinitiative gewählt, das dann in zweiter Stufe zum Volksbegehren und in dritter zum Volksentscheid führen kann. Warum habenSie sich dafür entschieden und nicht z. B. eine Petition gestartet?
Hansen:
Wir müssen jetzt handeln. Wir können nicht auf eine Petition warten, auch nicht darauf, dass eine theoretische Lösung bis ins Letzte ausgearbeitet wird. Jetzt muss etwas passieren.
Eder: Genau, eine Petition wäre ein zu zahnloses Instrument. Angesichts der Dringlichkeit der Situation müssen wir Fakten schaffen. Auf der Weltklimakonferenz 2015 hat sich ja auch Deutschland schon dazu verpflichtet, die globale Erwärmung weit unter 2 Grad zu senken. Diese Verpflichtung gilt auch für uns hier in Hamburg und Kohleausstieg ist die schnellste und beste Einzelmöglichkeit, um Klimaschutz voranzutreiben. Wir wissen, dass es beim Klimaschutz nicht 5 vor 12, sondern eigentlich schon 5 nach 12 ist. In Deutschland spüren wir das noch nicht. Im Rahmen unserer Arbeit erzählen unsere Partnerinnen und Partner aus dem globalen Süden immer sehr anschaulich davon, wie der Klimawandel ihre Lebensbedingungen bedroht. Damit endlich etwas passiert, müssen wir das Mittel wählen, mit dem wir den größten politischen Druck ausüben können.

Wie reagieren Senat und Bürgerschaft bisher auf Ihre Initiative?
Eder:
Wir hatten schon Gespräche mit der SPD- und der Grünen-Fraktion sowie mit dem Umweltsenator Jens Kerstan. Wir werden also durchaus als politischer Player wahrgenommen. CDU und FDP haben uns bislang nicht eingeladen, da sind die Fronten relativ geklärt, aber wir wären auf jeden Fall auch hier bereit für Gespräche, denn ein Volksinitiative solltefür alle Hamburgerinnen und Hamburger sprechen, und auch CDU- und FDP-Wählerinnen und -Wähler sollten ein Interesse am Kohleausstieg haben. Neu ist, dass Vattenfall jetzt die Fernwärmeleitung beantragt hat. Deshalb werden wir weitere Gespräche führen. Hier zeigt sich, wie stark unsere Initiative auf „Unser Hamburg – Unser Netz“ von 2013 aufbaut.
Hansen: Ohne die Initiative „Unser Hamburg – Unser Netz“, die sehr erfolgreich per Volksentscheid den Rückkauf der Energienetze erreicht hat, könnten wir den Kohleausstieg heute gar nicht fordern. Deshalb möchte ich mich gerne noch einmal ausdrücklich bei dem Bündnis von damals bedanken. Aktuell haben wir die Strategie, möglichst viele Unterschriften zu sammeln, um zu zeigen, dass die Initiative von den Hamburgerinnen und Hamburgern getragen wird. Gerade weil zurzeit die Verhandlungen über den Rückkauf des Fernwärmenetzes anstehen, ist eine breite Unterstützung für den Senat sehr hilfreich.
Eder: Wir wollen ein großes politisches Signal setzen. Wir haben jetzt schon die geforderten 10.000 Unterschriften, wollen aber noch mehr sammeln, um die Rückkaufpläne des Senats strategisch zu unterstützen. Dazu würden wir uns sehr die Unterstützung der Kirchengemeinden und Kitas beim Sammeln wünschen.

Haben Sie schon Reaktionen aus Kirchengemeinden bekommen?
Hansen: Nachdem wir alle Kirchengemeinden angeschrieben und gebeten haben, die Unterschriftslisten auszulegen, haben wir im UmweltHaus als erstes von der Kirchengemeinde St. Pauli viele unterschriebene Listen zurückbekommen. Hier ist die Resonanz gut und freut mich persönlich sehr. Auch der Kirchenkreisrat unterstützt unsere Initiative per Beschluss. Gerne hätten wir auch eine synodale Debatte über die Beteiligung geführt, wir mussten uns jedoch an Termine halten und so fehlte dafür leider die Zeit.
Eder: Dazu gibt es Pastorinnen und Pastoren, die die Initiative unterstützen, in der Christuskirche Eimsbüttel gab es zum Beispiel schon eine Veranstaltung dazu. Wir überblicken noch nicht, wie viele Gemeinden mitmachen und die Listen auslegen. Jedes Feedback ist uns willkommen. Wir bieten Textbausteine für Gemeindebriefe an und vieles mehr. Das alles kann natürlich sehr gerne genutzt werden. Es wäre toll, wenn uns noch mehr Kirchengemeinden als bisher unterstützen.
Hansen: Um das Bewusstsein zu schärfen und Fragen zu beantworten kommen wir auch gerne zu Infoveranstaltungen in Gemeinden und Einrichtungen. Je nach Bedarf kann das für eine einzelne Frage-Stunde oder auch öffentliche Diskussionsrunden sein. Das bieten wir an.
Eder: Wir merken immer wieder, wie wichtig das Gespräch ist. Grundsätzlich wollen alle den Kohleausstieg, aber die konkreten Infos fehlen. Die vermitteln wir in Gesprächen beim Sammeln von Unterschriften.

Was wünschen Sie sich?
Eder: Wir wollen eine Hamburger Energiewende, die sich an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger, der Zukunftssicherheit und dem Klimaschutz orientiert und die vor allem sozial verträglich ist. Gerade der letzte Punkt ist mir besonders wichtig: Die Wende muss sowohl ökologisch als auch sozial verträglich gestaltet werden. Das eine geht nicht ohne das andere.
Hansen: Die Papier- und Gesetzeslage ist bei uns in der Kirche wegweisend. Jetzt ist es wichtig, diesen Weg auch zu gehen. Damit meine ich, dass wir alle handeln und selbst was tun müssen. Denn der Kohleausstieg ist ein sehr wichtiger, wenn auch nicht der einzige Schritt, das Ziel der CO₂-Neutralität zu erreichen. Ich wünsche mir, dass Kirchenkreis,  Einrichtungen und Kirchengemeinden Hand in Hand aktiv werden, um beim Klimaschutz immer besser zu werden.

Das steht hinter "Tschüss Kohle":

Die Volksinitiative Tschüss Kohle wird von über 44 Organisationen getragen bzw. unterstützt. Dazu gehören neben verschiedenen Umwelt- und Klimaschutzverbänden auch der Zukunftsrat Hamburg, das Zentrum für Mission und Ökumene in der Nordkirche und der alternative Wohlfahrtsverband Soal. Die Volksinitiative ist parteienunabhängig und finanziert sich über Spenden von Privatpersonen und Unterstützerbeiträge der beteiligten Organisationen. Das UmweltHaus am Schüberg des Kirchenkreises Hamburg-Ost gehört ebenfalls zu den Unterstützern. Darüber werden Informationen an die Gemeinden, Kitas und Einrichtungen des Kirchenkreises weitergeleitet, es gibt verschiedene Bildungsangebote und weitere operative Unterstützung von „Tschüss Kohle“. Finanzielle Unterstützung der Initiative gibt es nicht.

Darum geht es: 

Die drei Kohlekraftwerke Tiefstack, Wedel und Moorburg produzieren derzeit 85 Prozent des Stroms und 60 Prozent der Fernwärme in Hamburg und stoßen zusammen jährlich je nach Jahreslaufzeit ca. 9 bis 11 Millionen Tonnen CO₂ aus. Moorburg speist bisher hauptsächlich Strom ein und liefert nur in sehr geringem Umfang Wärme an ein einzelnes Unternehmen. Der Moorburg-Betreiber Vattenfall plant, möglichst schnell zusätzlich produzierte Wärme ins Hamburger Fernwärmenetz einzuspeisen. Sollte sich das realisieren, würden die CO₂-Emissionen von Moorburg nochmals stark ansteigen und Moorburg würde dazu auch noch die Stromnetze gegen Erneuerbare Energien verstopfen. Ziel der Volksinitiative ist es, das zu verhindern und den ohnehin vorgesehenen Kohleausstieg Hamburgs zu unterstützen. Dafür hat die Initiative einen Gesetzesentwurf formuliert, der entsprechende Änderungen am bestehenden Hamburgischen Klimaschutz- und Wegegesetz vorsieht. Die Änderungen im Gesetzentwurf bestehen im Wesentlichen darin, dass der Kohleausstieg erstmals überhaupt explizit in das Klimaschutz- und Wegegesetz aufgenommen wird und darin Maßnahmen für die konkrete Umsetzung und den zeitlichen Horizont formuliert werden. Denn: Sollte Moorburg bis 2035 Kohle verbrennen und Wärmeauskopplung ins Hamburger Netz speisen dürfen, würde eine rechtzeitige Abschaltung der Anlagen und ein fristgerechter Kohleausstieg (wie von Klimawissenschaftlern bis spätestens 2030 gefordert) stark verzögert oder gar verhindert.

Was bisher geschah:

2013 hat die Volksinitiative „Unser Hamburg – Unser Netz“ bei einem erfolgreichen Volksentscheid bewirkt, dass die Freie und Hansestadt Hamburg FHH alle Energienetze, die sich im Besitz von EON-Hanse und Vattenfall befanden, zurückkauft. Dieser Schritt war und ist entscheidend für eine zukünftige klimafreundliche Energieversorgung der Hamburgerinnen und Hamburger, so die Initiative.Zu diesen Energienetzen geh.rt auch das Fernw.rmenetz mit einigen dazugeh.renden Kraftwerken, beides im Besitz von Vattenfall und mit einem 25,1-Prozent-Anteil der FHH. Nach dem erfolgreichen Volksentscheid verabredeten Vattenfall und die FHH einen Rückkauf zu einem Mindestpreis, der abschlie.end Ende 2018 fixiert werden soll. Das war für den Start der Volksinitiative jetzt ausschlaggebend. Genau dieser Vorvertrag erschwert nun aber den konkreten Vollzug des Rückkaufs.