Johanni –
ein besonderer Tag in der Mitte des Jahres

Aus dem Gemeindebrief 02/2015

Auf dem Land und bei den Alten ist er noch bekannter, in der Großstadt weniger, aber manchen doch geläufig: der Johannistag am 24. Juni. An der Sommersonnenwende begehen wir den Geburtstag Johannes des Täufers, von dem erzählt wird, er sei ein halbes Jahr älter als Jesus. Nun gut, Johannes der Täufer. Näher liegt uns das Jahreszeitlich-Natürliche: Der Sommer beginnt und wird prachtvoll, die Rosen blühen, die Beeren reifen – und draußen findet man ein grünes Kraut mit gelben Blüten und feinen Geheimnissen. Hermann Hesse erzählt davon:

Goldmund hat für die Klosterapotheke Johanniskraut gepflückt. „Er blieb auf den warmen Feldkieseln sitzen, hielt sich ganz still … roch am Johanniskraut und hielt dessen Blättchen gegen das Licht, um die hundert winzigen Nadelstiche in Ihnen zu betrachten. Wunderlich, dachte er, da hat jedes von den Tausend kleinen Blättchen diesen kleinwinzigen Sternhimmel in sich gestochen, fein wie eine Stickerei. Wunderlich und unbegreiflich war doch alles …“ (Hermann Hesse: Narziß und Goldmund. Erzählung, Suhrkamp Frankfurt a. M. 1971, 75). Das ist natürlich bloßeVorstellung. Zwar sieht Goldmund richtig, ein Johanniskrautblatt ist tatsächlich übersäht von Punkten, die das Licht durchlassen. Aber zum Sternenhimmel wird das Gefüge in einem Blatt nur in unseren Augen. Wir sehen im Kleinen das Große und wundern uns. Es ist eine unserer Stärken, dass wir, was uns umgibt, „wunderlich“ finden können. Dass wir Abstand nehmen können und staunen, bemerken und sagen: Das ist doch … Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Psalm 8,4+5.

Ist diese Fähigkeit, dass wir staunen und uns wundern können, zu etwas gut? Es liegt schon im Wort: Sich-Selber-Wundern. Der Blick auf das ganz Große lenkt sich zurück auf uns selbst: Was ist der Mensch …?

Das Staunen gewährt keinen praktischen oder nützlichen Blick auf die Welt. Aber es ist der Anfang aller Kunst und allen Geistes, dass wir uns so ablenken lassen auf die Bedeutung der Dinge und ihr Geheimnis für uns.

Was ist es bei Johannes? Als er unzählige Menschen am Jordan tauft und sie in ein neues Leben fordert, kommt ihm auch Jesus von Nazareth unter. Der ist damalsnoch völlig unbekannt. Aber Johannes sieht im Unscheinbaren den Bedeutenden: Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, dass ich mich vor ihm bücke und die Riemen seiner Schuhe löse Markus 1,7. Und der da ist es, Jesus. Ich hätte es nötig, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?! Matthäus 3,14. Und ganz deutlich: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen! Johannes, 3,30.

Weil er im Unscheinbaren den Größeren sieht, größer, als er selber ist, kann er sich selbst klein sehen. Das ist Johannes. 

Klein sein ist nicht schlimm. Das können wir lernen, wenn wir uns wundern über die Größe im Kleinen. Und das ist uns doch so fremd! Wir leben damit, nur größer zu werden, uns zu verbessern, den Gewinn stets zu mehren, viel darzustellen und bloß nichts einzubüßen; im Ranking gut abzuschneiden, und uns dazu noch und noch zu optimieren. – Wer staunen und sich wundern kann, begibt sich unweigerlich in die Position des Kleineren, er entspannt in der Anschauung. Das ist die Gabe des Johannes, das ist die Botschaft von Johanni auf der Höhe des Jahres, wenn der Sommer beginnt und das Licht auch schon wieder abnimmt. Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen! Es ist gut so.

Pastor Dr. Kord Schoeler